Sind fachliche Kompetenzen wichtiger als Soft Skills? Kommt man digital wirklich authentisch rüber? Und was bringen eigentlich die klassischen Bewerbungsfragen? Christian Niemeyer, Director Food Affairs und Regionaldirektor für die Marke EUREST beim weltgrößten Catering-Konzern der Compass Group, hat jahrzehntelange Führungserfahrung und unzählige Bewerbungsgespräche geführt. Im Podcast teilt er seine Erfahrungen mit mir und Euch – und verrät, worauf man als Bewerber unbedingt achten sollte.

Sind digitale Bewerbungsprozesse eigentlich genau so gut wie analoge?

Ich finde: nein. Zwar finden auch bei uns die Job-Interviews derzeit virtuell statt – wir haben zum Beispiel um den Jahreswechsel eine neue Hoteldirektorin eingestellt, die ich live das erste Mal im März gesehen habe, als sie angefangen hat. Aber auch wenn das super geklappt hat, würde ich den komplett digitalen Bewerbungsprozess nicht als Standard sehen wollen. Ich finde es schon sehr wichtig, jemandem gegenübertreten zu können, seine Präsenz im Raum zu fühlen und dadurch ein authentischeres Erlebnis zu haben, als es über den Bildschirm möglich ist.

Stichwort Authentizität – was bedeutet das für Dich?

Ob jemand dem entspricht, was er sagt. Wie jemand sich bewegt, wie er sich verhält – dadurch bekomme ich ein Gefühl dafür, ob die Person ehrlich und integer ist.

Welche Qualitäten muss eine Führungskraft mitbringen?

Das klingt vielleicht ambivalent, aber ich finde: Disziplin und Kreativität. Kreativität ist wichtig, um neue Lösungen zu finden, die Disziplin hilft dabei, auch wirklich auf den Punkt zu kommen. Ebenfalls unerlässlich sind Mut und Entscheidungsfreude – auch bei unpopulären Entscheidungen.

Und wie wichtig ist die fachliche Kompetenz?

Fachkompetenz wichtig und hilfreich, aber eine richtig gute Führungskraft muss bei den menschlichen Attributen, den Soft Skills, weit vorne sein. Fachliche Kompetenz kann man dagegen besser und einfacher trainieren.

Wie gestaltest Du Vorstellungsgespräche, sodass Du einen guten Eindruck von den Soft Skills bekommst?

Ich habe da keinen „Werkzeugkasten“ – das habe ich mal versucht, aber schnell wieder aufgegeben. Das Abfragen von Standards und die üblichen Bewerbungsfloskeln helfen mir nicht, wirklich mit dem Bewerber ins Gespräch zu kommen und mehr über ihn als Mensch zu erfahren. Meine Lieblingsfrage ist „Wie begrüßt Du zuhause Deine Gäste, was bietest Du ihnen?“ In der Antwort darauf zeigt sich viel über die Person, ob sie gerne Gastgeber ist und – in meiner Branche und als Führungskraft superwichtig – Lust auf Menschen hat.

Verlangt die aktuelle Krise besondere Fähigkeiten von Führungskräften?

Allerdings. Das Thema Disziplin ist mehr in den Vordergrund gerückt, aber fast noch wichtiger ist Empathie. Die und eine entsprechend gute Kommunikation braucht es, um alle Mitarbeiter mitzunehmen, wenn sie zuhause sitzen braucht – aber auch, wenn man sie wieder zurückholt. Zudem hat die Krise einen großen Kreativitätsschub ausgelöst, weil auf einmal Sicherheits- und Hygienelösungen hermussten, man den Gästen aber trotzdem noch etwas bieten wollte.

Du warst früher selbstständig und bis jetzt im fünften Jahr im Konzern tätig. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, und ich finde, man tut den Konzernen damit auch ein bisschen Unrecht. Konzernstrukturen haben durchaus ihr Gutes, ein etwas höheres Maß an Bürokratie ist nicht immer verkehrt. Gerade wenn Du aus der Selbstständigkeit kommst, bietet ein Konzern auch ein Stück Sicherheit. Und wenn Du dann noch in einen Konzern kommst, der Lust auf Deine Kreativität und Deinen Anspruch auf Freiheit hat, kann da sehr viel Positives zusammenkommen. Das habe ich selbst so erlebt und auch gerade an einem neuen Führungskollegen gesehen, der einen ähnlichen Weg genommen hat.

Was tust Du, um in Deiner Rolle als Top-Führungskraft auf dem neuesten Stand zu bleiben?

Ich bin niemand, der Sachbücher zu Thema Führung oder Unternehmensentwicklung liest – ich habe oft auch das Gefühl, dass in vielen dieser Bücher versucht wird, aus einem eigentlich negativen Bild etwas Positives zu inszenieren. Ich finde es wichtiger, dass man über den Tellerrand schaut, mal in andere Branchen guckt und sich mit Menschen, die etwas erlebt und zu sagen haben, direkt austauscht. Das öffnet mir andere, neue Perspektiven auf Themen. Und ich bin gerne in fremden Städten unterwegs, schaue mir da die gastronomischen Konzepte an, komme mit den Leuten ins Gespräch.

Was ist Dein wichtigster Tipp für Bewerber?

Bleib bei Dir selbst – es kann natürlich sein, dass Du damit nicht ankommst, aber dann passt der Job eben einfach nicht zu Dir.

Das komplette Interview könnt Ihr hier nachhören oder anschauen.

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